Welche Fragen machen im Bewerbungsgespräch Sinn?
Viele Fragen im Vorstellungsgespräch sind absehbar, dementsprechend können die Antworten gut vorbereitet werden. Das betrifft natürlich die bisherige Biographie – Ausbildung, Werdegang, wichtige Projekte und Aufgaben. Aber auch in die Zukunft gerichtete Bewerbungsfragen sind häufig wenig einfallsreich: Laut Personalberatung Michael Page sind die fünf häufigsten Fragen im Vorstellungsgespräch die nach den eigenen Schwächen und Stärken, wo man in fünf Jahren stehen will, warum man in diesem Unternehmen arbeiten will, warum das Unternehmen sich für den Bewerber entscheiden soll und schließlich die sehr offene Frage oder genauer: die Aufforderung, etwas über sich zu erzählen. Das kennen wir sicherlich alle und deshalb lassen sich auf diese Fragen leicht gute Antworten vorbereiten.
Mathematik oder Logik?
Gerade weil dieses Standardprogramm so vorhersehbar ist, gibt es viele Unternehmen, die auf sogenannte Brainteaser setzen. Damit sind Kniffelaufgaben gemeint, Rätsel und völlig unvorhersehbare Fragen, die mit dem künftigen Job wenig bis nichts zu tun haben. Beispielsweise kann mit Rechenaufgaben das mathematische Verständnis getestet werden. Aber Vorsicht, so manche vermeintliche Rechenaufgabe dient eher dazu, das logische Verständnis zu testen. Beispielsweise wenn drei Personen sich eine Hotel- oder Essensrechnung in Höhe von 30 Euro teilen sollen. Hinterher bemerken Chef oder Chefin, dass die korrekte Rechnungshöhe 25 Euro beträgt, senden jemanden mit 5 Euro zum Trio. Der Bote steckt 2 Euro in die eigenen Tasche und händigt 3 Euro aus. Sodann wird vorgerechnet, dass das Trio je 9 Euro gezahlt hat (= 27 Euro) und der Bote zwei Euro eingesteckt hat. Also fehle ein Euro. Wer hier beginnt, nachzurechnen wird scheitern. Der logische Fehler ist, dass die zwei gestohlenen Euro zu den 27 angeblich bezahlten hinzugerechnet werden. Tatsächlich wurden aber nur 25 Euro (30 minus 5) bezahlt, plus zwei gestohlene und drei erstattete macht die ursprünglichen 30 Euro.
Logik oder Souveränität?
Wir sehen daran den eigentlichen Zweck der meisten Brainteaser: Bewerberinnen und Bewerber sollen unter Stress gestellt eine sinnvolle Lösung liefern. Als Begründung ist häufig zu hören, dass auch im künftigen Job oft wichtige Entscheidungen in wenig Zeit und/oder unter hohem Stresslevel zu treffen seien. Oder dass man häufig mit unvorhersehbaren Situationen konfrontiert sei und deshalb auch schon Fragen im Bewerbungsgespräch diese Situation testen sollen. Außer Rechenfragen kommen auch solche aus den Bereichen Logik und Verhalten gerne zum Einsatz. So hat es etwa durchaus mit logischem Verständnis zu tun, wenn man erkennt, dass auf die Frage: „Wo befinden Sie sich, wenn Sie einen Kilometer nach Norden, dann einen nach Osten und dann einen nach Süden gehen?“ die korrekte Antwort ist: „Das kommt auf den Ausgangspunkt an.“ Denn wenn der Start am Südpol ist, ist der Endpunkt wiederum der Südpol. Bei allen anderen Startpunkten kann die Frage nicht beantwortet werden. Außer mit Logik hat diese Frage aber auch mit der eigenen Souveränität zu tun, denn die braucht es, um nicht zu versuchen, eine naheliegende, aber falsche Antwort zu geben.
Sinnvoll oder abschreckend?
Brainteaser sind für beide Seiten eine zwiespältige Angelegenheit beim Vorstellungsgespräch. Kandidaten werden unnötig unter Druck gesetzt mit Testes, die oft wenig bis nichts über die tatsächlich nötigen Fähigkeiten aussagen. Personalverantwortliche können sich damit auch selbst schaden, weil durch Brainteaser möglicherweise Fachkräfte ausscheiden, die eigentlich gut geeignet wären, sich aber zu sehr stressen lassen. Auch tritt der Effekt auf, dass Bewerber sich durch solche Fragen so abgeschreckt fühlen, dass sie einen angebotenen Job ablehnen. Laut einer 2019 veröffentlichten Studie eines Teams an der Louisiana State University messen Brainteaser keine relevanten Fähigkeiten, wirken abschreckend und haben häufig nur den Zweck, Macht auszuüben. Personalabteilungen sollten sich also genau ansehen, ob und wann sie zu diesem Mittel greifen, was sich mit einer solchen Frage tatsächlich feststellen lässt und ob das bei der in Frage stehenden Position überhaupt sinnvoll ist. Falls ja ist es in der Regel besser, ein Beispiel zu konstruieren, das tatsächlich etwas mit der künftigen Jobpraxis zu tun hat. Bewerber und Bewerberinnen hingegen müssen sich nicht unbedingt zwanghaft mit den vielen Webseiten beschäftigen, auf denen Dutzende Beispiel-Fragen samt Lösungen angeboten werden.